„Die Wissenschaft in Hamburg befindet sich international auf überschaubarem Niveau“
hitNews: Herr Prof. Dr. Vöpel, die Stadt Hamburg und besonders der Standort Harburg möchte zum Silicon Valley Deutschlands werden. Ist das ein realistischer Wunsch oder nur ein Traum?
Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftInsitituts (HWWI): Es ist ein langer Weg. Der Schlüssel dazu ist eine enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Die Wissenschaft in Hamburg befindet sich international gesehen noch auf einem überschaubaren Niveau. Hamburg müsste mutiger und offener sein. Das hängt aber auch mit Traditionen zusammen. Wissenschaft und Kunst wurden immer eher in Städten mit monarchistischer Tradition gefördert. Hamburg dagegen war immer eine republikanische Stadt mit funktionierendem Bankensystem oder florierender Versicherungswirtschaft, halt eine Kaufmannsstadt mit allen Vor- und Nachteilen.
hitNews: Hamburg erscheint mit seiner Flugzeug- und Schifffahrtsindustrie, den Life-Science-Projekten und Universitäten wie der TU Hamburg aber gut aufgestellt.
Vöpel: Wir haben natürlich schon ganz hervorragende Ansatzpunkte. Mit Airbus und Lufthansa Technik, der TU Hamburg oder DESY sind Akteure am Standort, die den Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft befördern. Und dennoch: Wenn Sie den Blick beispielsweise nach München wenden, sehen Sie dort eine deutlich größere Affinität der Wirtschaft zur Hochtechnologie. In Hamburg mit seinen vielen Dienstleistungs- oder Hafenunternehmen ist der Technologieanteil nicht so groß. Insofern bleibe ich dabei: In den Bereichen Wissenschaft und Technologie hat Hamburg einen gewissen Nachholbedarf.
hitNews:Wie wichtig ist es, diese Lücke schnell zu schließen?
Vöpel: Wenn wir uns die langfrostigen Entwicklungslinien angucken, müssen wir feststellen, dass dieses Hamburger Modell von Wohlstand und Unternehmertum ein bisschen weniger wichtig wird in der Welt. Wir sehen, dass die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft stärker wird. Und wir werden auf jeden Fall erleben, dass sich die Wirtschaft viel stärker entlang von Wissenschaft, Forschung und Technologie organisiert.
hitNews: Was bedeutet das konkret?
Vöpel: Das heißt, auf kürzestem Weg neue technologische Möglichkeiten abzugreifen und sie direkt in ein Geschäftsmodell umzusetzen, womöglich bereits aus der Universität heraus. Schon jetzt kann man das am Beispiel der TU Hamburg sehen. Dort gibt es Inkubatoren, die Absolventen dabei unterstützen, ihre Ideen zu einem Business zu machen. In den USA ist das übrigens schon heute Gang und Gäbe. Die Volkswirtschaft dort funktioniert so, dass im Grunde laufend Geschäftsmodelle getestet werden. Dort gibt es Strukturen und die Mentalität von trial and error, die Innovation und Fortschritt erzeugen.
hitNews: Bieten die Flüchtlingsströme die Chance, der Wirtschaft Impulse zu geben, den Fachkräftemangel zu beseitigen und demographische Probleme zu lösen?
Vöpel: Man sollte realistisch bleiben. Es ist ein ganz hohes Ziel unserer Verfassung, jedem Bürger auf der Erde Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Eine große humanistische und zivilisatorische Leistung einer Gesellschaft, die wir unbedingt bewahren müssen. Aber wir dürfen das nicht verwechseln mit qualifizierter Zuwanderung. Die Menschen, die jetzt zu uns kommen, kommen aus humanitären Gründen über das Asylrecht. Das ist eine Ausnahmesituation, und wenn sich die Lage in Krisenregionen wie Syrien befrieden sollte, gehen die Menschen eventuell wieder zurück. Wir brauchen deshalb eine qualifizierte Zuwanderung. Und die bekommen wir nicht über das Asylrecht, sondern über ein Einwanderungsgesetz.
hitNews: Was muss verändert werden?
Vöpel: Im Moment denken wir, dass die Fachkräfte, die uns fehlen, über das Asylrecht zufällig kommen. Das erzeugt eine Erwartungshaltung, die eine enorme Belastung darstellt, sowohl für die, die kommen, als auch für uns als Gesellschaft, weil eine solche Integrationsleistung in so kurzer Zeit nicht zu erbringen ist. Wenn Sie also eine demografische Lücke schließen wollen, geht das nur über gesteuerte Zuwanderung.
hitNews: Welche Rolle spielt bei der Entwicklung der Zukunft das Thema Digitalisierung?
Vöpel: Eine große natürlich! Wir stehen vor einem radikalen Systemwechsel, und die Funktionsweisen der Märkte werden sich vollständig verändern. Für die Digitalisierung ist charakteristisch, dass sich Plattformen zwischen Produzenten, Anbieter und Konsumenten schieben. Bestes Beispiel sind die Hotelreservierungs-Plattformen, die so stark geworden sind, dass sich Hotels gar nicht mehr erlauben können, eigene Vertriebswege zu gehen. In jeder Branche ist die Digitalisierung anders, aber in jedem Fall hat sie massive Auswirkungen. Wir leben in einer neuen Gründerzeit, in der Neues entsteht, indem es das Alte zerstört. Selbst etablierte Unternehmer müssen ihr Geschäftsmodell massiv in Frage stellen.
hitNews: Muss alles neu erfunden werden oder ist soviel Know-how da, dass es nur umgesetzt werden muss?
Vöpel: Letzteres. Es geht tatsächlich darum, aus Daten neues Know-how zu entwickeln, also Big Data zu nutzen, um Informationen miteinander zu verknüpfen und auf Plattformen nutzbar zu machen. Das ist das übergeordnete Grundprinzip der Digitalisierung. Es wird Wirtschaft und Gesellschaft aber im Kern verändern.
hitNews: Die Wissenschaft kennt die „Theorie des Reiskorns“, bei dem man symbolisch mit einem Reiskorn beginnt und die Zahl der Körner jedes Jahr verdoppelt. Mit dem Wissen der Menschheit sei es genauso. Was bedeutet das für die Entwicklung von Technologie?
Vöpel: Es kommt tatsächlich exponentiell neues Wissen hinzu. Andererseits hat noch jede Generation gesagt, die Zeit in der sie lebte, sei besonders komplex. Kaiser Wilhelm hat die Entwicklung des ersten Autos mit den Worten kommentiert: „Ich glaube an das Pferd.“ Ich denke, wir sind sehr wohl in der Lage, mit Komplexität umzugehen. Wir wissen zwar nie, was hinter der Grenze unseres Wissens ist und wie die Zukunft aussieht. Aber ich glaube daran, dass freie und offene Gesellschaften ihre Zukunft verantwortungsvoll gestalten können.