"Nur die Wahl Amazon oder Alibaba"
Ex-Außenminister Joschka Fischer analysierte beim INNO-Talk vor 250 Zuhörern, warum nur ein gemeinsames Europa weltweit nicht abgehängt wird.
Joschka Fischer kam schnell zur Sache: „Wenn wir in Europa nicht sofort handeln, sind wir in spätestens zehn Jahren abgehängt. Dann können wir den abgefahrenen Zügen nur noch nachwinken. Und das will ich nicht.“
Der Auftritt des früheren Außenministers und Vizekanzlers der Bundesrepublik Deutschland bei der zwölften Auflage des INNO-Talks füllte das Konferenzzentrum des hit-Technopark bis auf den letzten Platz. Die Einschätzungen des inzwischen 69-Jährigen zur Lage Europas in einer sich extrem stark wandelnden Welt waren begehrt. Sogar auf einen Bildschirm im Foyer wurden die Live-Bilder von Fischers Vortrag „Europa – oder was sonst?“ übertragen. Und Fischer lieferte vor rund 250 Firmenvertretern und Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik kompetente Antworten auf brisante Fragen. Befindet sich die westliche Welt vor dem Untergang? Sind Trump, Putin und Erdogan eine Bedrohung für Europa? Welche Rolle spielt Deutschland im Zeitalter politischer und religiöser Krisen? Dabei outete sich Fischer als radikaler Europäer und analysierte im weltpolitischen Kontext messerscharf die Rolle Europas und Deutschlands.
Die wichtigste Aufgabe der neuen Bundesregierung ist für den früheren Vordenker der Grünen, zusammen mit ihren europäischen Partnern technologische Fortschritte auf den Weg zu bringen. „Im Augenblick haben wir doch nur die Wahl zwischen Amazon und Alibaba“, sagte Fischer. „das eine Unternehmen kommt aus den USA, das andere aus China. Und was ist mit Europa?“ Nicht ein einziger dieser modernen Megakonzerne käme aus einem europäischen Land. Unlängst hätten die Chinesen sogar die gesamte E-Mobil-Abteilung und den China-Chef von BMW abgeworben. Fischers Kurzanalyse für Europas Schicksalsfrage: „Wenn wir bleiben, wo wir sind, werden wir verlieren.“
Auch wenn wir mit 82 Millionen Einwohnern die größte Bevölkerung und die größte Volkswirtschaft in Europa und Nummer fünf in der Welt seien, könnten wir ohne Europa unseren Lebensstandard nicht halten. „Wer glaubt, wir könnten zurück zu den – gar nicht einmal so guten – Zeiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, versteht nichts.“
300 Jahre hätten Europäer und Amerikaner die Welt dominiert, das sei aber nicht mehr so – mit diesem Statement startete Fischer in einen Parforceritte durch die Historie. Verlagerung nach Osten, Aufstieg Chinas aber auch Indiens, Rückzug der USA aus transatlantischen Abkommen. „Ich war immer ein überzeugter Grüner. Aber die Ablehnung von Freihandel meiner Partei, habe ich nie geteilt.“ Ohne diesen freien Handelsverkehr bei immer stärker steigender Weltbevölkerung seien Kriege nicht auszuschließen.
In Zukunft müsste Europa sich weniger mit sich selbst, sondern mit seiner Rolle in der Welt proaktiv beschäftigen. Nationalistische Tendenzen seien falsch. Im Sinne von Adenauers Westbindung sollten Deutschland und Frankreich vorangehen und die verlorene Dekade beenden. Wenn es mit den Orbans und Kaczinskis nicht geht, dann eben in einem Europa mit zwei Geschwindigkeiten. Beim Umgang mit Putin und Erdogan müssen wir Geduld wahren und prüfen, was wir möchten – die Aufgabe unserer Werte und Interessen sicher nicht.
Im Anschluss an seinen Vortrag stellte sich Joschka Fischer noch den Fragen aus dem Auditorium – auf der Bühne, aber auch beim anschließenden Get together im Restaurant des hit-Technopark. Fazit von hit-Technopark-Geschäftsführer Christoph Birkel: „Das nächste Google oder Amazon kommt sicher aus dem hit-Technopark.“